Ist die GKV noch zu retten?

Seit Jahrzehnten wird an einem Problem herumgedoktert, welches 90% der deutschen Bevölkerung betrifft – die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. 

Mittlerweile ist dieses Finanzierungsproblem trotz dutzender „Reformen“ so groß, dass Experteninnen des DFSI  bereits vor einer Insolvenzgefahr mehrerer Krankenkassen schreiben.

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Aktuell wird versucht, dieses Finanzierungsproblem durch eine Steigerung des individuellen Zusatzbeitrags zu begegnen. Allerdings stiegen die Gesamtbeiträge dadurch auf bis zu 19% in 2025 (Knappschaft). Der Sprung über die 20%-Marke ist nur noch eine Frage der Zeit. Bei der Pflegeversicherung sieht die Lage noch dramatischer aus, wie das Handelsblatt berichtet.     

Die Gründe für die Schieflage der Kassen sind hinlänglich bekannt:

  • die demographische Entwicklung in Deutschland
  •         das zweigleisige Versicherungssystem
  •         die unsolidarische Bemessung der Beiträge (Beitragsbemessungsgrenze)
  •         das insgesamt ineffiziente Gesundheitssystem                                                                      

Die demographische Entwicklung

Die Entwicklung seit 1990 zeigt deutlich die Überalterung unserer Gesellschaft. Der „Boomer-Bauch“ in den 1990ern ist mittlerweile zu Stiernacken mutiert und wird sich in den 2030ern zu einem Wasserkopf entwickeln. Es wächst zu wenig nach um eine Versicherung im Umlageverfahren dauerhaft finanziell sicher zu gestalten. Das Problem ist seit Jahrzehnten bekannt und ignoriert worden. Bis jetzt wurde versucht, durch Leistungskürzungen und Beitragserhöhungen die Kassen zu stabilisieren, alles ohne Erfolg. Immer weniger Beitragszahler können die Kosten, die in einer älter werdenden Gesellschaft immer weiter steigen werden, nicht mehr ausgleichen.

Rette sich wer kann

Laut Statista sind knapp 75 Mio Menschen in Deutschland in der GKV versichert (davon 59 Mio beitragspflichtige Mitglieder) und 8,71 Mio Menschen in der privaten Krankenversicherung. An Einnahmen standen der GKV 2023 laut vdek 304 Mrd. € zur Verfügung (inkl. des Bundeszuschusses in Höhe von 14,5 Mrd.), bei der PKV sind es etwas über 30 Mrd. € Beitragseinnahmen für die Vollversicherung. 

Seit einigen Jahren ist die Tendenz zu erkennen, dass immer mehr Menschen von der GKV in die PKV wechseln. Das ist von daher bemerkenswert, weil der Wechsel zur PKV nur für sehr gut verdienende Versicherte möglich ist. Nur Menschen oberhalb der JAEG (73.800,— €/Jahr) können die GKV Richtung PKV verlassen. Wenn aber die gut verdienenden Versicherten die Kassen verlassen, fehlen diese deutlich höheren Beiträge der Versichertengemeinschaft. 

Wer sehr viel verdient zahlt weniger

Eigentlich ist die Gesetzliche Krankenversicherung eine solidarische Gemeinschaft. Alle Mitglieder zahlen den gleichen Prozentsatz von ihrem Brutto. Eigentlich, aber ist das wirklich richtig? Ja, aber nur bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze. Alles darüber hinaus gehende ist beitragsfrei. Menschen, die im Monat 6.000 € brutto verdienen zahlen genau so viel Beitrag zur GKV wie Menschen mit 20.000 € brutto. Da ist dann nicht mehr viel von solidarischer Gemeinschaft übrig und das Geld fehlt den Kassen. 

Alles was teuer ist

Deutschland gibt für sein Gesundheitswesen 12,7% des BIP aus. Damit liegen wir an der Spitze in Europa und weltweit an Nr. 3. Das sind pro Kopf und Jahr über 8.000 €. Damit müsste eigentlich ein ganz passables Gesundheitssystem finanzierbar sein, eigentlich. 

Es gibt allerdings mehrere Kostentreiber im Gesundheitswesen:  

GKV:

  • Krankenhausbehandlungen 32% Anteil
  • Arzneimittel                                17% Anteil
  • Ambulante Behandlungen        16% Anteil
  • Verwaltungskosten                      4% Anteil

PKV:

  • Ambulante Behandlungen 48% Anteil
  • Krankenhausbehandlungen     28% Anteil
  • Zahnbehandlung                        16% Anteil
  • Verwaltungskosten.                      9% Anteil

Systematisch gibt es Abweichungen zwischen den Systemen. Bei der PKV ist der Arzneimittelanteil im ambulanten Bereich inkludiert und die Verwaltungskosten sind aufgrund der Abschlusskosten deutlich höher.

Ist die Bürgerversicherung die Lösung?

Um die Finanzprobleme der GKV zu lösen gibt es den Vorschlag einer Bürgerversicherung. Die Trennung von gesetzlich und privat Versicherten soll aufgehoben werden, ein Grundschutz soll für alle Bürgerinnen gelten und die Beitragsgrundlage auf alle Einkommensarten ausgeweitet werden.

Hier laufen natürlich die Versicherer der PKV und die Vertretungen der Gesundheitsanbietern Sturm, da hier das Geschäftsmodell für eine Gewinnoptimierung angegriffen wird. 

Wie bei unterschiedlichen Interessenlagen üblich gibt es Studien und Gegenstudien die je nach Auftraggeber gegensätzliche Ergebnisse erzielen.

Eines steht allerdings für mich fest, die GKV hat ein strukturelles Einnahmeproblem. Zum selben Ergebnis kommt auch eine Studie der RheinMain Universität. 

Der andere Weg

Einen völlig anderen Weg beschreiten die skandinavischen Länder – und das mit Erfolg!

Hier ist die Gesundheitsvorsorge staatlich organisiert. Die Krankenhäuser sind in staatlicher Hand, hier gibt es keine Gewinnoptimierung und Rosinenpickerei. Die Finanzierung wird aus Steuermitteln gewährleistet.

Was in Skandinavien auffällt ist die sehr viel stärkere Fokussierung auf den ambulanten Gesundheitssektor. Es herrscht überwiegend das Primärarztprinzip. Die Hausärztin, bei dem die Versicherten vorab registriert sind, ist immer erster Ansprechpartnerin und Behandlerin. 

Durch die Festlegung auf die Hausärztin ist die Versorgung auch im ländlichen Raum sehr gut steuerbar. Die Gesundheitsbehörden steuern die Ärzteversorgung, Weiterleitungen an Fachärzte und Krankenhäuser beschränken sich deutlich, was bei vergleichbarer Versorgung die Kosten deutlich reduziert.

Für die Hausärzte, die überwiegend selbständig sind (Dänemark) oder in Gemeinschaftspraxen (PCC)  privatwirtschaftlich oder öffentlich organisiert sind (Schweden) bedeutet diese Festlegung eine gute wirtschaftliche Planbarkeit. Aber auch die Versicherten haben hier den Vorteil einer beständigen Gesundheitsversorgung.

Durch die Festlegung auf eine Hausärztin/Behandlungszentrum (jederzeit änderbar) entfällt das kostenintensive Ärztehopping und die dadurch gegebenen Mehrfachuntersuchungen. 

Die staatliche Organisation des Gesundheitswesen verringert natürlich auch deutlich den Verwaltungsaufwand. Es sind weniger Abrechnungsstellen involviert, Wettbewerb unter verschiedenen Kassen gibt es nicht und eine Gewinnerzielungsabsicht mit Ausschüttung an Kapitalanleger gibt es auch nicht. Es wird deutlich mehr Wert auf Prävention gelegt, ohne das die Gesundheitsvorsorge darunter leidet. Die Lebenserwartung ist in allen skandinavischen Ländern deutlich höher als in Deutschland.

Es gibt natürlich auch entscheidenden Nachteil des skandinavischen Systems – es gibt keine Zwei-Klassen-Gesellschaft im Gesundheitswesen mehr. Mehr Geld, Einkommen oder Einfluss verbessert nicht die persönliche Gesundheitsvorsorge. Es können nicht so viel Gewinne generiert werden, es gibt deutlich weniger Geld zu verteilen. Das erscheint mir als größtes Hindernis eines vernünftigen Gesundheitssystems in Deutschland.

Mit nachhaltigen Grüßen

René Russell